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Reden und Texte

 

Virtuelles Erich Scherer Archiv

 

Volkstrauertag 1982
Was erschüttert, birgt Hoffnung

Rede von Erich Scherer

 

Verehrte Anwesende,

Die Trauer dieses Tages berührt und vereint uns alle. Sie beginnt bei uns Älteren, die in den Wirren der großen Kriege Menschen, Freunde, verloren haben, die ihnen nahestanden, mit denen sie eng verbunden waren. Menschen, die sie liebten, die Teil ihres Lebens und Seins waren. Was manchen von uns erschüttert, birgt Hoffnung!

Die Trauer hat sich übertragen auf die Jugend, auf eine Jugend, die nicht aus eigener Erinnerung und Erfahrung, sondern aus dem Wissen über die Geschichte unseres Volkes und den Auseinandersetzungen überall auf der Welt mit diesem Geschehen in Berührung kommt. Die weltweite Friedensbewegung ist ein sichtbares Zeichen dafür.

Die Trauer um die vielen Toten verbindet uns alle, die wir hier zusammengekommen sind oder die im stillen Gedenken zurückgehen in diese unheilvolle Zeit.

Die vielen Namen, die auf diesen Gedenktafeln verzeichnet sind, gewinnen in unseren Gedanken Gesicht und Gestalt. Es waren Menschen, wie Du und Ich, mit all ihren Wünschen, Hoffnungen und Erwartungen, mit Plänen und Zielen. Wir trauern über einen Abschnitt in der Geschichte unseres Volkes und Staates, den wir nicht mehr rückgängig machen können, der viel Leid und Unglück über viele gebracht hat, der Lücken aufriß, die bis heute noch nicht geschlossen werden konnten. Die Vertreibung aus der angestammten Heimat und ihr endgültiger Verlust, ein geteiltes Vaterland, Todesstreifen und Stacheldraht sind seine Folgen, die uns bedrücken, unter denen wir leiden.

Wer von uns dächte nicht daran, wenn er sich an den Zweiten Weltkrieg zurückerinnerte? Unser Volk hat eine bittere Lehre empfangen in jenen Jahren, die wir Älteren weitergeben müssen an unsere Kinder, an die Jugend. Eine Lehre, die wir nicht vergessen dürfen, wenn nicht neues Unheil kommen soll über uns und die Welt. Wir alle wissen, daß Krieg und Streit die Probleme nicht lösen, Ungerechtigkeiten nicht beseitigen oder wieder gutmachen, vielmehr immer neue Konflikte erzeugen.

Wir müssen miteinander sprechen, versuchen, einander zu verstehen, die Ansprüche des anderen, an unseren eigenen messen über Grenzen hinweg. Wir müssen über unser eigenes Ich den Weg zum Du suchen, dann werden wir auch den Weg zum verbindenden Wir finden. Nur dann werden wir dem Ruf unserer Toten nach Frieden gerecht werden.

Bei all dem Grauen, das unsere Erinnerung bedrückt, müssen wir nach den Ursachen fragen, warum nach 1945 die Kriege der Welt nicht aufgehört haben. Im Ersten Weltkrieg starben von 1914-1918 9.740.000 Menschen. Im Zweiten Weltkrieg von 1939-1945 verloren insgesamt 55 Millionen als Soldaten, als Opfer des Luftkrieges, als Flüchtlinge und Vertriebene, als Opfer der Gewaltherrschaft ihr Leben. Hat die Menschheit daraus etwas gelernt? Korea-Krieg – die Toten sind nicht gezählt. Vietnam-Krieg – niemand hat die Toten gezählt! Kriege in Asien, Afrika, Südamerika, Aufstände, Konflikte, Bürgerkriege und immer wieder Gewalt gegen Menschen – und keiner zählt mehr die Toten. Und allein diesem Jahr: Falklandkonflikt, Afganistan, Mittelamerika, Iran/Irak, Libanon mit seinen Massakern in Beirut! Deshalb wird immer wieder die Frage an uns gerichtet sein: Was tun wir, was tut jeder einzelne von uns, um den Frieden zu bewahren, um Krieg und Gewalt aus der Welt zu schaffen? Und wir können nicht die Hände in den Schoß legen und warten bis die Politiker handeln. Sie müssen wissen um den Auftrag, den sie von uns haben.

Wenn wir Frieden wollen, dann kann uns nicht gleichgültig sein, was wo passiert. Die Welt ist klein geworden. Die Rassengegensätze in Afrika, das Aufbäumen des polnischen Volkes, die Unterdrückung Afganistans, die Unruhe in Mittelamerika, die schlechten Lebensverhältnisse in der Dritten Welt gehen uns hautnah an, weil dort auch über den Frieden in Europa, bei uns entschieden wird. Alle diese Überlegungen müssen eingehen in aktuelle politische Entscheidungen. Wir können und dürfen nicht mehr zurückfallen in den Wahn und die Anmaßung, daß das Interesse unseres eigenen Volkes alleiniger Maßstab unseres Handelns sein dürfe.

Politisches Handeln ist immer die Summe unseres eigenen Handelns. Deshalb wird der Auftrag, für den Frieden sich einzusetzen, von uns eine Antwort, eigenes Handeln fordern, da, wo wir sind, da, wo wir im Leben hingestellt sind. Man kann sich nicht ein bißchen für den Frieden einsetzen. Hier sind wir, der ganze Mensch, gefordert.

Wir alle müssen unermüdliche und unbequeme Mahner bleiben und im Blick auf die vielen Gräber versuchen, Wege aufzuzeigen, selbst zu leben, die es ermöglichen, Probleme ohne Gewalt und ohne blutige Auseinandersetzungen zu lösen. Darin liegt die Bedeutung dieses Mahntages, des Volkstrauertages.

Santajana bringt dies mit den Worten zum Ausdruck: "Die sich des Vergangenen nicht erinnern, sind dazu verurteilt, es zu wiederholen."

Der Auftrag, den wir Lebenden von unseren Toten erhalten haben, ist klar und verständlich. Wir alle können nicht aussteigen, können uns aus dieser Verpflichtung nicht abmelden. Wer sich anders entscheidet, trägt dazu bei, das Elend in der Welt, die Zahl der Gräber derer zu mehren, die das höchste Opfer, ihr Leben, gebracht haben.

Wenn wir und die Kommenden auf die Stimmen der Gefallenen, der Opfer der letzten Kriege hören, dürfen wir die Hoffnung haben, einen guten Weg, einen Weg der Gewaltlosigkeit und der Gerechtigkeit zu finden mit dem Ziel: Freiheit und Frieden!

 

Totenehrung

 

Wir gedenken heute der Opfer
von Krieg und Gewalt in unserer Zeit,
der Soldaten, die in den beiden Weltkriegen
gefallen, ihren Verwundungen erlegen oder
in Kriegsgefangenschaft gestorben sind,
der Frauen, Kinder und Männer,
die durch Kriegshandlungen, auf der Flucht oder bei der Vertreibung
aus ihrer Heimat ihr Leben lassen mußten.

Wir gedenken all derer, die unter der Gewaltherrschaft Opfer
ihrer Überzeugung oder ihres Glaubens wurden,
und all derer, die getötet wurden,
weil sie einem anderen Volk angehörten
oder einer anderen Rasse zugerechnet wurden.

Wir gedenken der Männer und Frauen und Kinder,
die in der Folge des Krieges und wegen der Teilung Deutschland
und Europas ihr Leben verloren.

Wir trauern mit den Familien und Freunden um die Gefallenen
und Toten all der Völker,
die unter beiden Weltkriegen gelitten haben.

Wir trauern mit den Angehörigen um die Opfer des Terrorismus,
der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage.

Wir trauern, doch wir leben in der Hoffnung
auf Versöhnung der Völker und Frieden in der Welt!